Ein Blick nach hinten, ein Blick nach vorne: Ursachen und Auswege für die Krise des Journalismus

Beim Umbruch von Print- zum Digitalmedium kommt es in manch grossem Verlagshaus zu Spannungen. Beim Spiegel spaltete sich die Belegschaft unlängst in zwei Lager und bei den grossen Titeln Stern und Brigitte des Verlagsriesen Gruner + Jahr wurden im Zuge von digitalen Umstrukturierungsmassnahmen zahlreiche Stellen gestrichen.

Wenn bei den Grossen Sand im Getriebe ist, wird aufgehorcht und hingeschaut. Wie konnte es zu diesem Punkt kommen? Wieso wurden diese Kenner und Big Player der Verlagswelt von den Auswirkungen der Digitalisierung so sehr überrascht, dass sie sich nun zu so drastischen Massnahmen gezwungen sehen? In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf Entwicklungen, die mit verantworlich für die aktuelle Journalismuskrise sind.

Die Journalismusbranche wurde durch das Internet stark verändert. Wie stark, ist für junge Erwachsene heute schwer nachzuvollziehen, darum gehen wir ca. 12 Jahre zurück und schauen durch ein kleines Fenster in die jüngere Vergangenheit des Journalismus.

Ein Blick zurück

Die damals 50 jährige Prof. Dr. Claudia Mast ist Expertin auf dem Gebiet der Kommunikationswissenschaft. Zusammen mit Klaus Spachmann, ebenfalls ein Experte für Kommunikatonswissenschaften, dient sie uns in der gemeinsamen Publikation von 2003 Krise der Zeitungen: Wohin steuert der Journalismus? als Guide durch die Journalismuswelt der frühen 2000er Jahre.

Das Internet entfaltete geraden an stationären PCs sein Potential, was sich auf die Gewohnheiten ganzer Bevölkerungsgruppen niederschlug und letztlich die Journalismusbranche zwang, ihre eigene Position auf Anspruch und Wirklichkeit zu überprüfen. „Die Macht der Journalisten, als Gatekeeper – d. h. Schleusenwärter der gesellschaftlichen Kommunikation – zu bestimmen, welche Themen auf die Tagesordnung der öffentlichen Kommunikation gesetzt werden, bröckelt,“ erklären Mast und Spachmann. Was damals bröckelte, ist heute zum offenen Bruch geworden wie man z.B. durch die zahlreichen sozialen Plattformen sehen kann, die mittlerweile als Informationsquelle angenommen werden. Die self made Youtube-Videos direkt vom Maidan-Platz brachten die Neuigkeiten in ungeschlagener Geschwindigkeit in die ganze Welt. Aufgrund der Authentizität solcher Videos können sie sogar als Konkurrenz zur Auslandskorrespondenz einer Tageszeitung wahrgenommen werden.

Selbstverständis der Tageszeitungen

Tageszeitungen und viele Journalisten verstanden sich Anfang der 2000er als Informationsproduzenten, mit dem Anspruch, die neuesten Neuigkeiten mit exklusiven Hintergründen an die Leser auszuliefern. Wenn ein Internetblog dem Printmedium aber immer ein paar Stunden oder Tage voraus ist, kann diese Stellung nicht mehr aufrecht erhalten werden – zumindest nicht mit dem Printmedium.


können Tageszeitungen nicht mehr mit den neuesten Nachrichten glänzen – die Grafik zeigt, was innerhalb von 60 Skunden online geschieht (Quelle: Qmee.com).

Die Tageszeitungen mussten reagieren und technologisch umsatteln, was sie auch taten, wie Mast und Spachmann erklären: „Online-Engagements wurden ausgebaut, auch wenn niemand so richtig sagen konnte, ob und unter welchen Bedingungen die User im Netz einmal auch für die Dienstleistungen der Verlage zahlen werden“. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Zahlungsbereitschaft für online-Inhalte eher gering ist. Somit sahen sich Verlage gezwungen, zwecks Leserbindung ein online-Angebot verfügbar zu machen, das sich aber nicht selten zur kostenlosen Kokurrenz des eigenen Print-Produkts entwickelte.

Technologisches und gedankliches Change Management gefordert

Diese eher technologisch getriebene online-Erweiterung bedeutete für Verlage viel Arbeit. Es musste eine online-Redaktion geschaffen werden, die sich mit dem neuen Medium auskennt und sich bei der Artikelproduktion mit der Print-Redaktion synchronisiert. Prozesse wurden durchdacht, Verantwortlichkeiten klar verteilt und neue Abteilungen etabliert.

Daneben wurde vor allem von den „alten Hasen“ ein Umdenken gefordert. Konnten sich Tageszeitungen früher die wirtschaftliche Basis durch Anzeigenverkauf sichern, musste nun, da Anzeigen ins Internet abwanderten, mit journalistischen Inhalten Werbung für das eigene Produkt gemacht werden. Plötzlich wurde von Journalisten verlangt, zielgruppenkonform zu arbeiten. Wer den Zweck seiner Arbeit einzig und allein in der objektiven Berichterstattung sah, musste dies als Verschiebung seines Arbeitsschwerpunkts in die falsche Richtung wahrnehmen. Interne Spannung, wie man sie auch heute wieder sieht, müssen die Folge gewesen sein. Entsprechend sah man auch die neu gewonnene Medienunabhängigkeit journalistischer Beiträge zwiespältig. Die Digialisierung von Artikeln, Bildern usw. machten einen effektiven Content-Handel möglich, der schnell zur Verwendung von journalistischem Content für den E-Commerce führte. Dieses Prinzip kennen wir heute unter dem Stichwort Content-Marketing und ist auf gutem Weg, eine akzeptierte journalistische Tätigkeit zu werden. Damals wehrte man sich aus der Journalismusbranche eher gegen eine solche Entwicklung – man sah sich vielmehr in der Rolle des investigativen Journalisten und nicht als Dienstleister für Werbemittel zum Produktvertrieb. Der Professor für Kommunikationswissenschaften Christoph Neuberger z.B. bezeichnete die Ansätze des Content-Marketings damals als „Lockvogel“ für den Abverkauf.

Content-Marketing als allgemeine Anlaufstelle für Journalisten?

Innerhalb der letzten gut zehn Jahre ist viel geschehen. Journalismus wird nicht mehr als rein objektive Berichterstattung mit Überwachungsfunktion der Politik und Auslöser gesellschaftlicher Debatten wahrgenommen, sondern hat durchaus auch wirtschaftliche Anbindung. Content-Handel und Content-Aufbereitung für verschiedene Kanäle wird mittlerweile von vielen Wirtschaftsunternehmen betrieben und erzeugt eine Nachfrage an guten Schreibern. Einige führende Journalisten fragen sich, ob das Content-Marketing nicht „die Rettung für den Journalismus“ sein kann. „Journalistischer Anspruch und Corporate Publishing passen eigentlich hervorragend zusammen, wie ich finde“, schreibt z.B. Karsten Lohmeyer auf seiner Webseite LousyPennies.de. Er selbst hat die Leitung der Telekom-Tochter The Digitale übernommen, ein Content-Marketing StartUp, weil er Journalisten Arbeitsplätze verschaffen möchte.

 

Oberstes Bild: © Scanrail-Fotolia.com

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Diplomphysiker im technischen Vertrieb mit Leidenschaft für's Schreiben.
Die Themen dürfen ruhig weit gesteckt sein: Von Archäologie und Kulturanalyse über Naturwissenschaft und Technik hin zum eCommerce und Content-Marketing.

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